18.7.2024, 12 Uhr
Eine Hexe mit einem grossen Bart – warum Heinrich George Schauspieler wurde
Heinrich George wurde als Georg August Friedrich Hermann Schulz am 9. Oktober 1893 in Stettin geboren. Bereits 1910 hatte er sein schauspielerisches Debüt am Stadttheater Kolberg. George beschreibt sich als siebzehneinhalbjähriger jugendlicher Bonvivant mit einer Gage von 35 Mark monatlich, von welcher er bescheiden, dürftig und stets hungrig lebte.
Gab es eine prägende Erfahrung, die ihn Schauspieler werden ließ? Der autobiografische Bericht „Vier Etappen“, überliefert als undatiertes Typoskript im Nachlass, gibt Auskunft darüber:
„[…] Es war an einem ereignisreichen Tage meines Lebens, nämlich meine Einschulung in die Vorschule des Stettiner Gymnasiums, als mich meine Mutter – mein Vater, der Kapitän war, befand sich gerade auf einer Reise – mich mit der Mitteilung überraschte: „Heini, nachmittags gehen wir ins Theater und sehen uns Rotkäppchen an“. Und das war so schön, dass ich von diesem Augenblick an beschloss, Schauspieler zu werden. Es war nicht so sehr die Vorstellung, die sich von keiner anderen Märchenvorstellung für Kinder unterschied, als eine Person und zwar die Hexe, die Hexe, die mit rollenden Augen und tiefer Stimme auf Rotkäppchen einsprach, eine Hexe, die merkwürdig flink auf den Beinen war, eine Hexe mit einem grossen Bart. Und diese Hexe wurde gespielt von – und das ist keine Erfindung – von Hermann Picha. Stellen Sie sich einen jungen springlebigen [!] Hermann Picha in der Rolle als Hexe mit einem grossen Bart vor. Bei diesem Anblick musste man sich doch entschliessen, Schauspieler zu werden – und ich wurde Schauspieler.“ (Heinrich-George-Archiv 221).
Im Ersten Weltkrieg wurde George als Kriegsfreiwilliger schwer verwundet. Nach dem Kriegsdienst folgten ab 1917 Engagements in Dresden, Frankfurt am Main und schließlich in Berlin, wo er Anfang der 1920er Jahre unter anderem mit Max Reinhardt, Jürgen Fehling, Erwin Piscator, Erich Engel und Bertolt Brecht zusammenarbeitete, sich in der Kommunistischen Partei Deutschlands engagierte und seinen ersten Film drehte.
Zu den bekanntesten Rollen in Georges Theaterlaufbahn zählt der Götz, die Darstellung des Gottfried von Berlichingen von Johann Wolfgang von Goethe (ab 1934). Davor spielte er Grot, den Wächter der Herz-Maschine im Film Metropolis von Fritz Lang (1927). Vier Jahre später prägte er die Darstellung des Franz Biberkopf in der Verfilmung des Romans Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin.
Mit Beginn des Nationalsozialismus wurde George zunächst als linker Exponent der Berliner Theaterkultur ausgegrenzt. Im Interesse seiner Schauspielkarriere arrangierte er sich jedoch mit dem neuen politischen System. Als ihm 1938 die Leitung des Berliner Schiller-Theaters übertragen wurde, bot er politisch Verfolgten eine Anstellung in seinem Theater. So schützte er Wilhelm Fraenger, Robert Müller und Karl Heinz Martin, zudem förderte er junge Schauspieltalente wie Horst Caspar und Will Quadflieg. Gleichzeitig spielte George im NS-Propagandafilm Hitlerjunge Quex (1933) sowie in dem antisemitischen Film Jud Süß (1940) mit und übernahm die Hauptrolle im Film Kolberg (1945), einem propagandistischen Film, der fanatische Durchhalteparolen bis in die letzten Tage des Krieges hinein verkündete.
In der Auseinandersetzung mit den Archivalien wird deutlich, dass George teilweise versucht hat, Einladungen der Nationalsozialisten zu umgehen, sich jedoch entschieden hat, um Schauspieler und Leiter des Schiller-Theaters, auch zum Schutz seiner jüdischen Mitarbeiter zu bleiben, Kompromisse einzugehen. Im Dokumentarfilm Wenn sie mich nur spielen lassen von Irmgard von zur Mühlen (1997) beschreibt Boleslaw Barlog die Ambivalenz Georges: „Das war eine Schutzrolle, eine Schutztarnung. Zu tun als wäre er ein den Nationalsozialisten gesonnener Denkkumpan. War er nie. Er war nie ein Nazi, nie. Und Heinrich George, […] der alles tun musste um zu verhindern, dass sie ihn umbrachten und seine Familie. Und der deswegen sich eingestellt hat auf die Nazis.“
Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht wurde George im Mai 1945 von sowjetischen Offizieren verhaftet und in das NKWD-Speziallager Hohenschönhausen überstellt. Hier gründete er ein Häftlingstheater. Am 25. September 1946 verstarb der entkräftete Heinrich George im Lager Sachsenhausen nach einer Blinddarmoperation.
Das Heinrich-George-Archiv der Akademie der Künste verwahrt eine große Anzahl Rollenbücher, Programmhefte, Inszenierungsmaterialien, Dokumente zu seiner Beteiligung an der TOBIS Film GmbH sowie Unterlagen zu seiner Tätigkeit als Intendant des Schiller-Theaters. Ein bedeutender Teil des Nachlasses umfasst die Korrespondenz mit Persönlichkeiten des kulturellen Lebens der Weimarer Republik und ist vollumfänglich erschlossen. Der Bestand in seiner Vielfältigkeit und Fülle stellt eine wichtige Quelle zur Theater-, Film- und Kulturgeschichte der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts dar.
Ansprechpartnerin: Anett Schubotz