21.12.2021, 17 Uhr
Wie Walter Benjamin 1937 nicht Pariser Theaterreferent wurde – negative Konturen eines Werkes
Anfang 1937 erhielt Walter Benjamin von dem Regisseur und Schriftsteller Bernhard Reich aus Moskau die Einladung, an einer „grossen theoretischen Theaterzeitschrift“ mitzuarbeiten. Es handelte sich um die Zeitschrift „Teatr. Ežemesjačnyj žurnal teatral’nogo tvorčestva i kritiki“, deren erste Nummer im April 1937 herauskam. Wie aus einem Brief Reichs an Walter Benjamin vom 29.1.1937 hervorgeht (WBA 150/4), wollte Reich, als Leiter der „internationalen abteilung“ vorgesehen, in diesem Organ „eine systematische annotation der wichtigsten Theaterereignisse und der interessantesten dramatischen werke einfuehren“ und schlug Benjamin vor, „diese Annotierung fuer frankreich zu uebernehmen“.
Konkret ging es darum, „bemerkenswerte theaterereignisse in einem kurzen essay (5–6 schreibmaschinenseiten) zu bewerten“. Reich räumte ein, „keine valutahonorare zahlen“ zu können, stellte aber in Aussicht, „die honorare nach dem tarif fuer erstklassige schriftsteller“ zu deponieren, d. h. auf einem sowjetischen Konto in Rubeln zu verwahren. Wahrscheinlich hat Benjamin dieses Angebot angenommen, denn es hat sich eine Art Dienstausweis erhalten – der Durchschlag eines von Reich am 20.3.1937 ausgefertigten Schreibens mit gedrucktem Briefkopf des staatlichen Verlags „Iskusstvo“ –, in dem ihm bestätigt wird, für die Zeitschrift das Pariser Theaterreferat zu besorgen (vgl. WBA 150/5; siehe Abbildung). Kurz darauf erhielt Benjamin von einem anderen Mitarbeiter der Zeitschrift die Anregung, Informationen über die interessantesten aktuellen Aufführungen des französischen Theaters mitzuteilen und beispielsweise die neue Inszenierung von Jean Giraudoux’ „Intermezzo“ zu besprechen. Auch Informationen über das Volkstheater sowie Empfehlungen von Literatur über das französische Theater und Theatertheorie seien erwünscht (vgl. WBA 150/6, V. Ravikovič an Walter Benjamin, 31.3.1937).
Auf ein nicht überliefertes Schreiben Benjamins reagierte Reich am 23.4.1937 bedauernd: „Wir verfuegen nicht ueber auslaendische Geldmittel, deshalb koennen wir (…) Ihren Wunsch nicht erfuellen.“ Offenbar hatte Benjamin von Reich die Übernahme anfallender Kosten für Theaterbesuche verlangt, denn Reich schlug nun vor, Benjamin solle seine Besprechungen vorerst auf der Grundlage der „eigenen Lektuere der Dramen“ und bereits in der Presse publizierter Aufführungsbesprechungen anfertigen; vielleicht sei er „spaeter imstande, aus eigenen Mitteln (…) die noetige Summe zu bezahlen, (…) beim Uebertrag des Gegenwertes auf Ihr Konto.“ (WBA 150/8) Mit dem Hinweis auf „Herrn Gsell“ und Piscator, die auch Interesse an einer Mitarbeit hätten, bat er abschließend „um schleunigste endgiltige Antwort“ – die Benjamin sicherlich abschlägig formuliert hat. Tatsächlich erschienen dann in „Teatr“ Berichte von Paul Gsell zum französischen Theater.
Unter dem Titel „Texte über Städte, Berichte, Feuilletons“ ist Ende 2021 Band 14 der Edition „Walter Benjamin: Werke und Nachlaß“ im Suhrkamp Verlag erschienen, herausgegeben von Bernhard Veitenheimer in Zusammenarbeit mit Klaus Reichert. Darin sind die journalistischen und feuilletonistischen Schriften Benjamins versammelt.
Ansprechpartner: Bernhard Veitenheimer