Irgendwo, irgendwie, irgendwann

Schellackplatte „Irgendwo auf der Welt“ (Musik: W. R. Heymann; Text: R. Gilbert und W. R Heymann) in der Interpretation der Comedian Harmonists, Berlin 1932

Jüngeren Leserinnen und Lesern mag die Überschrift in minimal veränderter Reihenfolge wesentlich vertrauter scheinen: „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ sang die mittlerweile selbst historisch gewordene Neue-Deutsche-Welle-Ikone Nena im Jahr 1984:

„Gib mir die Hand, ich bau dir ein Schloss aus Sand,
irgendwie, irgendwo, irgendwann …“

In einer Komposition von Werner Richard Heymann (1896–1961), die ein halbes Jahrhundert zuvor mindestens ebenso weite Verbreitung gefunden hatte, gipfelt der Refrain hingegen in dem in der Überschrift zitierten Dreischritt:

„Irgendwo auf der Welt fängt mein Weg zum Himmel an,
irgendwo, irgendwie, irgendwann …“


Das Lied „Irgendwo auf der Welt“ ist bis heute einer der bekanntesten Schlager der Weimarer Republik. Werner Richard Heymann hatte einen zusammen mit Robert Gilbert (1899–1978) verfassten Text für den UFA-Film „Ein blonder Traum“ (1932) vertont, für dessen Filmmusik er engagiert worden war. Im Werner-Richard-Heymann-Archiv der Akademie der Künste finden sich zu der Komposition leider keinerlei handschriftliche Skizzen oder Partituren – wie überhaupt ein Großteil von Heymanns Manuskripten unwiederbringlich verloren ging, als der erfolgreiche Musiker „irgendwann“ (1933) „irgendwie“ (zwangsweise und fluchtartig) „irgendwo“ (in Amerika, nach Zwischenstationen in Paris und London) im Exil ein neues Auskommen suchen musste, da er als Jude in Deutschland von den Nationalsozialisten verfolgt wurde. Während also die Notenhandschriften zu dem Jahrhundert-Schlager als verschollen gelten müssen, haben zwei alte Schellackplatten in Heymanns Nachlass überlebt: Neben der Originaleinspielung mit Lilian Harvey, die das Lied 1932 im Film gesungen hatte, bewahrte Heymann von den zahlreichen Bearbeitungen und fremden Einspielungen des Liedes nur eine einzige Schallplatte in seinem Besitz auf: die mit der kongenialien und auch aus heutiger Sicht einzigartigen Interpretation der Comedian Harmonists (siehe Abbildung).

Neben zahlreichen „schönen Details“ und satztechnischen Raffinessen ist es nicht zuletzt der im Vergleich zum filmischen Original minimal veränderte Aufbau, der dem Lied in dieser Version eine besondere Strahlkraft verleiht: Anstelle der etwas unrunden Abfolge B-A-A des Originals (was die vokalen Teile betrifft), die selbstverständlich den filmischen Notwendigkeiten geschuldet war, bringen die Comedian Harmonists das Lied in eine symmetrische A-B-A-Form, die (zumal ohne die Filmszenen) ungleich besser ausbalanciert scheint. Einfacher ausgedrückt: Die Comedian Harmonists beginnen – anders als Lilian Harvey – mit dem Refrain (A) und erzielen damit gleich zwei verblüffende Effekte. Zum einen: Im Original wirkt die Kadenz, die am Ende des über weite Strecken in Moll gesetzten Strophenteils (B) etwas unvermittelt ins Dur hinüberzwingt, im ersten Höreindruck so plump wie die zugehörige Textzeile: „Ich geb die Hoffnung niemals auf!“. Dieselbe Stelle erklingt bei den Comedian Harmonists als die logische Vorbereitung auf die Reprise des Refrains, der in dieser Fassung gleich zu Beginn in voller Länge ausgesungen wird. Zum zweiten aber: Was ist das eigentlich für eine verflucht subtile „Reprise“, die da im unmittelbaren Anschluss an die Kadenz von den Comedian Harmonists intoniert wird? Anstelle einer bloßen Wiederholung der fälligen Liedzeilen („Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück …“) modulieren die Comedian Harmonists das vom Hörer sehnsüchtig erwartete Motiv erst einmal ohne Text (!) über Dur zurück nach Moll und dann, in einer Kaskade von schnell aufeinander folgenden Modulationsschritten doch wieder (und dabei immer noch ohne Worte!) zurück zum strahlenden Dur – ehe der genial eingängige Refrain endlich zum zweiten Mal erklingen darf. Dieses subtile Spiel mit den Hörerwartungen bliebe in der B-A-A-Folge des Originals ohne Bezug; in der veränderten A-B-A-Form erzeugt sie eine augenzwinkernde Metaebene der „aufgeklärten“ Schlagerrezeption, die gewissermaßen eine Melodie als bekannt voraussetzt, welche die Spatzen von den Dächern pfeifen – ohne sie selbst allzu oft reproduzieren zu müssen.

Im Licht dieses Befundes kann es nicht verwundern, dass bedeutende Interpreten der Gegenwart, allen voran Max Raabe, das Lied bevorzugt in der subtilen Abfolge der Comedian Harmonists vortragen. Die Komposition wirkt in dieser Form nicht als penetranter Ohrwurm, sondern im Zusammenspiel von sehnsuchtsvollem Text und doppelbödiger Musik als ein bewegendes Stück humanistischer Kunst – auch (aber nicht nur) in Kenntnis der Emigrantenschicksale seiner textlichen und musikalischen Urheber, Robert Gilbert und Werner Richard Heymann.


Autor: Peter Deeg, Mitarbeiter im Musikarchiv der Akademie der Künste, Berlin.

Irgendwo auf der Welt, Historische Aufnahme mit den Comedian Harmonists, Schellackplatte der Firma Electrola GmbH (1932), Musik: Werner Richard Heymann; Text: Robert Gilbert; Foto: Werner Richard Heymann, 1930 © Fritz Eschen, Akademie der Künste, Sammlung Audiovisueller Medien