3.6.2024, 11 Uhr
Das Kräftefeld zwischen Thora und Tao – Walter Benjamin über Franz Kafka
Vor 100 Jahren starb Franz Kafka. Vor 90 schrieb Walter Benjamin einen seiner bedeutendsten Essays: „Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages“. Im Frühjahr 1934 hatte Benjamin von der „Jüdischen Rundschau“ den Auftrag dazu erhalten.
Benjamins Essay ist oft in der Polarität von Materialismus und Theologie gesehen worden. Seine Deutung verbinde marxistische und jüdische Motive. Bei zentralen Begriffen des Aufsatzes – „Studium“, „Auslegung“, „Lehre“, „Gerechtigkeit“ und „Umkehr“ – wurde auf jüdische Hintergründe hingewiesen. Benjamin habe diese Begriffe verwendet, ihnen aber einen säkularen Sinn gegeben.
Weniger bekannt ist, dass in dem Essay auch Kafkas Interessen für China und für den Taoismus vorkommen. Einer der Umwege, die Benjamin geht, um sich Kafka zu nähern, führt über China. Er verwendet taoistische Gedankenfiguren. Chinesischer Ahnenkult kommt in die Nachbarschaft zu jüdischem Gedenken, (Thora-)Studium verbindet sich mit (Tao-)Nichts, und so spannt sich „das Kräftefeld zwischen Thora und Tao“ auf, das Benjamin in dem Werk von Kafka ausmachen wollte.
Benjamin hat im Vorfeld zahlreiche Studien betrieben, um seine Reflexionen zu einem Text zu konzentrieren, den er für gelungen hielt. Im Walter Benjamin Archiv hat sich reiches Material an Notizen, Exzerpten, Motivsammlungen und Dispositionen erhalten. Der Weg in das Archiv kann helfen, um Benjamins rätselhaften, dichten und schwierigen Kafka-Essay besser zu verstehen.