14.10.2024, 11 Uhr
„In einer Liebe, die immer weiter wächst“ – Die Freundschaft zwischen Jurek Becker und Manfred Krug
„Zum kleinen Abschied: Für Manfred Krug, in einer Liebe, die immer weiter wächst (wie macht die das bloß?)“, so widmet der Schriftsteller Jurek Becker seinem Freund Manfred Krug einen handschriftlichen Romanentwurf.
Datiert ist Beckers persönliche Notiz auf den 14. Juni 1977, 6 Tage vor Krugs Ausreise nach West-Berlin. Beide hatten im Jahr zuvor mit anderen Künstlerinnen und Künstlern der DDR gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert. Nach ausbleibenden Arbeitsangeboten und eingeschränkten Auftrittsmöglichkeiten sah sich Manfred Krug gezwungen, einen Ausreiseantrag für sich und seine Familie zu stellen.
Neben der Widmung geben durchgestrichene Wörter, verworfene Titel-Ideen, darunter „Die provisorische Zeit“ oder „Simrocks Glück mit Weibern“ einen kleinen Einblick in Beckers Denkprozess. Auch der dick umrahmte Arbeitstitel „Leben in der Luft“ blieb nur provisorisch, publiziert wurde das Buch letztlich unter dem Titel Schlaflose Tage (Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978).
Der Roman handelt von Karl Simrock, seinem Versuch aus den bürgerlichen Zwängen der sozialistischen Gesellschaft zu entfliehen und seiner unsteten Liebe zu verschiedenen Frauen. Die leise Gesellschaftskritik wurde hier wie häufig bei DDR-Künstlern über das Private erzählt. Einen ähnlichen Ansatz hat der DEFA-Film Das Versteck (DDR 1977 / 1978, Regie: Frank Beyer), für den Jurek Becker das Szenarium entwarf. Jutta Hoffmann und Manfred Krug spielen darin ein Paar, das sich auseinandergelebt hat, sich trennt, es wieder miteinander versucht und erneut scheitert.
Die freundschaftliche Liebe von Manfred Krug und Jurek Becker sollte hingegen 40 Jahre lang währen. 1957 lernten sich beide kennen und lebten in Ost-Berlin in einer Wohngemeinschaft. Kurz nach dem Weggang Krugs 1977 folgte ihm Becker noch im gleichen Jahr in den Westen. Auch er sah sich gezwungen, aus den Restriktionen gegen ihn Konsequenzen zu ziehen. Nach dem unterzeichneten Protestschreiben gegen die Biermann-Ausbürgerung war er u.a. aus dem Vorstand des Schriftstellerverbands ausgeschlossen worden.
Krug und Becker, der eine Schauspieler und Sänger, der andere Schriftsteller und Drehbuchautor, ergänzten sich künstlerisch. Das bekannteste Ergebnis dieser Freundschaft bleibt wohl die Anwaltsserie Liebling Kreuzberg. Becker schrieb Krug die Rolle des „Robert Liebling“ auf den Leib und verfasste bis zu seinem Tod 1997 die Drehbücher.
„Ich sitze allein in meiner Bude, mir laufen die Tränen runter. Ich genieße es.“, schreibt Krug in sein Tagebuch am Todestag seines Freundes.
Heute liegen beide Nachlässe im Archiv der Akademie der Künste. Im bereits seit 2018 zugänglichen Jurek-Becker-Archiv befinden sich u. a. weitere Korrespondenz zwischen Manfred und Ottilie Krug mit Jurek Becker sowie zahlreiche Vorarbeiten und Drehbücher für Liebling Kreuzberg.
Das Manfred-Krug-Archiv wird am 22. Oktober 2024 eröffnet und ist danach recherchierbar und im Lesesaal des Archivs der Akademie der Künste einsehbar. Sein Nachlass sowie seine Nachlass-Bibliothek mit mehreren Widmungsexemplaren geben nicht nur Einblick in sein künstlerisches Schaffen. Neben Drehbüchern mit handschriftlichen Anmerkungen, Rollenauszügen, Fotos und gesammelten Kritiken, enthält der Bestand auch eine Vielzahl von Dokumenten, die mehr über die Person Manfred Krug erzählen. Darunter befinden sich u. a. Briefe, Tagebucheinträge, biografische und lyrische Texte sowie auch das von Jurek Becker gewidmete Manuskript.
Ansprechpartner: Maximilian Hagel