18.1.2016, 11 Uhr

Zur Debatte: Welchen Auftrag hat das Theater heute?

Kernfragen des Symposiums „Was soll das Theater?” am 24.1.

Welchen Auftrag hat das Theater heute? Was kann es, da alle längst die Hauptrolle ihres eigenen Lebens spielen, leisten? Diese und andere Fragen stehen am 24.1. während des Symposiums zum gegenwärtigen Theaterverständnis zur Diskussion. In mehreren Gesprächsrunden erörtern Künstler, Kritiker und Vertreter von Politik und Institutionen wesentliche Fragen der aktuellen Theaterdebatte. Moderiert wird die Debatte von Jürgen Berger (Autor und Theaterkritiker u.a. für die Süddeutsche Zeitung), Georg Kasch (Theaterkritiker und Redakteur bei nachtkritik.de), Petra Kohse (Theaterwissenschaftlerin, Autorin, Sekretärin der Sektion Darstellende Kunst der Akademie der Künste) und Christine Wahl (Theaterkritikerin u.a. beim Tagesspiegel). Im folgenden Beitrag stellen die Moderatorinnen und Moderatoren einige Kernfragen des Symposiums vor.

 

 

Jürgen Berger: „Hat das Theater einen Auftrag?”

„Was soll das Theater?” fragt nach dem gegenwärtigen Theaterverständnis und stellt schon damit die nächsten Fragen. Wessen Theaterverständnis ist gemeint? Das der Theaterkünstler und der Zuschauer? Oder sollte man die- jenigen fragen, die im Theater ein Auslaufmodell bürger- licher Hochkultur sehen? Zu fragen wäre, warum ausge- rechnet die Bühnenkunst seit Jahren derart unter Legiti- mationsdruck steht, dass Intendanten, Dramaturgen und Regisseure alleine deswegen beweisen wollen, ihre Arbeit sei gesellschaftlich relevant? Müssen Theatermacher tatsächlich auf die in immer schnellerem Wechsel eintretenden Krisensituationen der Welt reagieren? Und wenn ja: Was wird aus einem Theater, das spätestens seit der aktuellen Flüchtlingssituation nicht nur eine moralische, sondern auch eine soziale Anstalt sein will?

   Foto: © Iko Freese / drama-berlin.de


 

© Thomas AurinGeorg Kasch: Authentizität vs. Schauspielkunst

Was kann Verwandlung auf der Bühne – und was darf sie? Eigentlich alles, wenn sie gut gemacht ist. Aber wer entscheidet über dieses „gut“? Die Kritikerinnen und Kritiker? Das Publikum? Die Theaterschaffenden? Und was ist mit Blackfacing? Markiert die Kritik an dieser rassistisch geprägten Anmal-Praxis nicht auch eine Krise der Repräsentation an sich? Wie viel Freiheit bleibt den Schauspielerinnen und Schauspielern im Regietheater? Sind wiederum Performer, die sich auf ihre Biografien und Erfahrungen stützen, nicht selbst Schauspieler? Nur dass die Rollen von ihnen selbst definiert, „geschrieben“ werden? Und ist die Aufforderung an das Publikum, nicht nur mitzudenken, mitzuerleben, mitzudiskutieren, sondern auch mitzumachen, eine Erweiterung seiner Freiheit – oder die Begrenzung seiner Autonomie?

    Foto: © Thomas Aurin                            

 

 © Thomas AurinPetra Kohse: Welche Rolle spielt die Kritik?”

Vor nicht allzu langer Zeit waren Theaterkritiken oft die Aufmachertexte der Feuilletons. Halbseitig, mit großen Fotos. Inzwischen führt die Theaterbericht- erstattung in den Zeitungen zunehmend ein Randspaltendasein und in Radioprogrammen wird sie zunehmend durch launige Kurzgespräche ersetzt. Das 2007 gegründete Theaterportal nachtkritik.de stellt die Kritik zwar nach wie vor ins Zentrum ihres Angebots, aber auffallend ist, dass die meisten Debatten über Inszenierungen kaum auf die dazugehörigen Texte eingehen, sondern direkt ins Thema springen. Wie diskursfähig ist Theaterkritik noch? Welche Art von Kritik braucht das Theater heute überhaupt? Wo kommen KritikerInnen an ihre Grenzen? Hilft Förderung, Fortbildung und Neudefinition? Oder ist ihr Beruf längst selbst eine Rolle geworden?

   Foto: © Thomas Aurin  

 

 

Christine Wahl: „Wieviel Literatur braucht das Theater?“

Im öffentlichen Bewusstsein genießt die Gegenwarts- dramatik nicht den allerbesten Ruf. Regisseure behaupten gern, lieber Klassiker oder Romanstoffe zu inszenieren. Und Kritiker bescheinigen modernen Theaterautoren, im Relevanz- und Aktualitätskampf gegen das Dokumentarische beziehungsweise gegen den Film nicht gut auszusehen. Aber könnte das avantgardistische Potenzial von Bühnentexten heute nicht gerade wieder darin liegen, diesem allgegen- wärtigen Tagesaktualitätskrampf die Langsamkeit der Reflexion entgegenzusetzen, dem Sog des unmittelbaren Dran- und Drinseins die Kraft der überblickenden Distanz? Und inwiefern wäre dafür der Text, der in den letzten Jahren – Stichwort „performative turn“ – an Status eingebüßt hat, das Medium par excellence?

  Foto: © Åsa Franck

Tatsächlich erscheint die Gegenwartsdramatik ja wesentlich vitaler als ihr Ruf: Fünf der zehn im letzten Jahr zum Berliner Theatertreffen eingeladenen Inszenierungen waren Uraufführungen. Stöhnten da die Schauspieler, wie häufig kolportiert, tatsächlich nur über nicht enden wollende „Textflächen“? Oder hat sich die Bühnen-Literatur zwischen dem „klassischen“ well-made play und dem Dokumentar- und Expertentheater à la Rimini Protokoll nicht vielmehr zu einer Vielfalt ausdifferenziert, die in der Metadiskussion völlig zu Unrecht gegeneinander ausgespielt wird?