30.6.2025, 14 Uhr

Ein Archiv für alle Künste

Der Amerika-Nachlass von Heinrich Mann, 1956

Der Anfang war eher unspektakulär. Vor 75 Jahren am 1. Juli 1950 begann der Literaturwissenschaftler und Publizist Dr. Alfred Kantorowicz (1899-1979) seine Arbeit als Leiter des Heinrich-Mann-Archivs an der gerade entstandenen „Deutschen Akademie der Künste“ in Ost-Berlin. Damals war noch nicht absehbar, dass dieser Schriftsteller-Nachlass die Keimzelle für ein gesamtdeutsches „Archiv der Künste“ bilden sollte.

Das Heinrich-Mann-Archiv wuchs und wurde Magnet für weitere Bestände. Im Fokus standen Künstlerinnen und Künstler, die für den neuen sozialistischen Staat identitätsstiftend wirken sollten. Schrittweise erweiterte sich das Sammlungsspektrum von der Literatur über die Darstellende Kunst und Musik auf andere Kunstformen. Parallel dazu gründete sich unter anderen politischen Bedingungen und unter den Vorzeichen des Kalten Krieges im Westteil Berlins 1954 eine weitere Akademie der Künste. Auch hier führte man die Tradition der untergegangenen Preußischen Akademie fort und versuchte die Emigranten und ihr Werk nach Deutschland zurückzuholen. Es war ein Zeichen der Wiedergutmachung und die Vorstellung, wieder an die künstlerische Moderne anknüpfen zu können. Oft gelang es jedoch nur noch die schriftlichen Hinterlassenschaften zu sichern und so die einst verfemte Kunst über die Archive sichtbar zu machen. Nach einem Wettlauf zwischen Ost und West wurde 1956 der Nachlass des expressionistischen Dramatikers Georg Kaiser zum Nukleus des West-Archives. Eine Besonderheit im Vergleich zum Ost-Berliner Pendant war, dass hier auch die Baukunst zum Sammlungsprofil gehörte.

Nachdem sich Ost- und West-Akademie 1993 in einem kontroversen Prozess vereinigt hatten, entwickelte sich das Archiv der Akademie der Künste zu einem gesamtdeutschen Archiv. Als interdisziplinäre Sammlung zur Kunst und Kultur der Moderne im deutschen Sprachraum, die von einer autonomen Künstlergemeinschaft getragen wird, genießt das Archiv ein Alleinstellungsmerkmal. Zum Selbstverständnis gehört der Leitgedanke, dass es zur Sicherung des kulturellen Erbes unverzichtbar ist, die besondere Sichtweise von Kunstschaffenden mit einzubeziehen und die Entstehung ihrer Werke zu dokumentieren. In allen Kunstgattungen wartet die Gedächtniseinrichtung mit Archiven herausragenden Künstlerpersönlichkeiten auf.  Dazu zählen u.a. Walter Benjamin, Elisabeth Bergner, Bertolt Brecht, Frank Castorf, Hanns Eisler, Péter Esterházy, Walter Felsenstein, Jochen Gerz, Günter Grass, George Grosz, John Heartfield, Imre Kertész, Käthe Kollwitz, Heiner Müller, Marcel Odenbach, Emine Sevgi Özdamar, Helga Paris, Ulrike Ottinger, Hans Scharoun, Christoph Schlingensief, Anna Seghers, István Szabó, Bruno Taut, Mary Wigman, Christa Wolf und Bernd Alois Zimmermann.

Die kulturgeschichtlichen und künstlerischen Dokumente stehen der Öffentlichkeit für Forschungen und Auswertungen jeder Art zur Verfügung und bilden eine Basis für das kulturelle Verständnis der zeitgenössischen Gesellschaft und künftiger Generationen.

Die Akademie nimmt den 75. Geburtstag des Archivs zum Anlass für eine Ausstellung, die vom 8. Oktober 2025 bis 18. Januar 2026 am Pariser Platz gezeigt wird. Unter dem Titel „Out of the Box“ wirft die Jubiläumsschau einen Blick in die Geschichte und Magazine des Archivs und zeigt, welche Aufgaben und Herausforderungen sich mit der Arbeit eines Lebendigen Archivs verbinden. 75 Geschichten über ikonische Werke, wie Walter Benjamins Aufsatz Was ist Aura?, Anna Seghers’ Roman Das siebte Kreuz, Bertolts Brechts Dreigroschenoper, John Heartfields Collagen, Käthe Kollwitz’ Mahnmal für den Frieden oder Mary Wigmans Ausdruckstänze, erzählen von der Aura der Objekte, der Ordnung der Dinge und von der Macht der Archive, den Kanon für die Erinnerungsarbeit künftiger Generationen zu bestimmen. Zugleich zeigen sie, wie wichtig es im Zeitalter „alternativer Fakten“ ist, dass ein Archiv die Gewähr für authentische und verlässliche Informationen bietet.