2.6.2025
Debattenbeitrag der Akademie der Künste Kunst und Verantwortung in Zeiten der Militarisierung
Am 5. und 6. Juni 2025 veranstaltet die Akademie der Künste gemeinsam mit dem Goethe-Institut in Litauen und dem Contemporary Art Centre (CAC) in Vilnius ein öffentliches Programm zur zunehmenden Militarisierung („Aspekte der Anwesenheit. Kunst in Zeiten von Militarisierung“, vgl. die heutige Pressemeldung hier). Anlass ist die Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen. Die Akademie greift damit eine Problematik auf, die ihre Mitglieder und die Kunstszene insgesamt beschäftigt: Sowohl die sicherheitspolitischen Spannungen in Europa als auch der Nahostkonflikt stellen ähnliche Grundfragen: Wie positioniert sich künstlerische Arbeit, wenn gesellschaftliche Debatten zunehmend von militärischen Logiken und Polarisierung geprägt sind?
Diese Auseinandersetzung versteht sich bewusst nicht als Ersatz für Politik, sondern als künstlerische Intervention in gesellschaftliche Wirklichkeit. Künstler*innen besitzen ein geschärftes Sensorium für das, was politische Sprache nicht zu fassen vermag: die Widersprüche des Lebens, die Komplexität des Leids, die Einzigartigkeit menschlicher Erfahrung. Kunst kann Unvereinbares nebeneinanderstehen lassen, ohne es aufzulösen oder gleichzusetzen. Sie bewahrt eine wesentliche Wahrheit: Kein Leid der Welt relativiert ein anderes. Jedes steht für sich – singulär, unvergleichlich. Das gilt selbst dann, wenn ein Leid sich historisch auf ein anderes beruft.
Die Polarisierung durch den Israel-Palästina-Konflikt
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem daraufhin von Israel begonnenen Gaza-Krieg steht diese Haltung auf dem Prüfstand. Die Akademie der Künste hat sich als Künstlersozietät klar positioniert: mit unmissverständlicher Verurteilung des Terrorangriffs und des wachsenden Antisemitismus, zugleich aber mit dem unbedingten Bekenntnis zur Kunstfreiheit und der Berücksichtigung palästinensischer Stimmen im Diskurs.
Die Akademie der Künste ist ein Ort des Gedächtnisses, an dem unterschiedliche Generationen und Herkunftsgeschichten aufeinandertreffen. Einige ihrer 421 Mitglieder sind jüdisch oder palästinensisch, manche sind Nachkommen von Shoah-Überlebenden. Viele setzen sich intensiv mit der Geschichte und Gegenwart Israels auseinander, sie treten für die Rechte der Palästinenser*innen ein – als Künstler*innen, als Intellektuelle, als politisch engagierte Menschen.
Was sie heute eint, ist die tiefe Erschütterung über das anhaltende Leid der Geiseln wie über die humanitäre Katastrophe in Gaza. Das Ausmaß der zivilen Opfer, die Zerstörung von Krankenhäusern, Schulen und Wohngebieten sowie die Behinderung humanitärer Hilfe widersprechen grundlegenden Prinzipien des humanitären Völkerrechts. Die Geiseln müssen freigelassen, die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung beendet und die humanitäre Hilfe unverzüglich organisiert werden. Die Zivilbevölkerung braucht sofortige und umfassende Unterstützung mit lebensnotwendigen Gütern wie Nahrung, Wasser, medizinischer Versorgung, und sie muss endlich geschützt werden.
Solidarität mit Israel und die Grenzen der Staatsräson
Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 formulierte Solidarität mit Israel als deutsche Staatsräson gründet in der historischen Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen der Shoah. Doch sie darf niemals eine indifferente Rechtfertigung sein für eine Politik, die sich dem Völkerrecht und den universellen Menschenrechten entzieht. Andernfalls verliert sie ihre moralische Legitimation.
Wahre Solidarität mit Israel schließt demokratische Kritik an Regierungshandeln ein – sie erfordert sie geradezu. Angesichts der dramatischen Lage in Gaza ist es überfällig, dass deutsche Politiker*innen sich den fortgesetzten Völkerrechtsverstößen stellen. Diese Debatte muss dringend politisches Handeln nach sich ziehen.
Die Aufgabe der Kunst und der Kern ihrer Freiheit
Als deutsche Kulturinstitution sieht sich die Akademie der Künste in der Verantwortung, aktiv zu dieser Debatte beizutragen. Kunst ist kein neutraler Rückzugsort, sondern Teil gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Viele Künstler*innen, auch in Israel, riskieren persönlich viel, um sich gegen Gewalt und für Dialog und Menschenrechte einzusetzen – darunter auch Mitglieder der Akademie der Künste.
Sie tun dies auch, weil Kunstfreiheit zunehmend durch politische Instrumentalisierung bedroht ist. Die Reduktion auf Loyalitätsbekundungen – gleich in welche Richtung – untergräbt den Kern dieser Freiheit. Kunst entfaltet ihre politische Kraft nur dann, wenn sie sich nicht vereinnahmen lässt. Und Solidarität bleibt glaubwürdig, wenn sie kritische Auseinandersetzung zulässt.
Die Aufgabe von Kunst ist es nicht, fertige Antworten zu liefern. Ihre Stärke liegt darin, Räume zu öffnen – für Wahrheit jenseits von Propaganda, für Mitgefühl jenseits von Parteinahme, für Reflexion jenseits von Ideologie. In einer Zeit der Verhärtung und Militarisierung nimmt die Akademie der Künste diese Aufgabe besonders ernst. Die Welt braucht Orte der Differenz und des Dialogs, an denen Widerspruch und Komplexität nicht reduziert, sondern verhandelt werden.
Manos Tsangaris
Präsident der Akademie der Künste
Anh-Linh Ngo
Vizepräsident der Akademie der Künste