Räume der Untröstlichkeit
Wie manifestiert sich deutsche Erinnerungspolitik im urbanen Raum? Vom Stadtschloss bis zur Garnisonskirche, vom Heimatministerium bis zur Stiftung Orte der Demokratiegeschichte – Max Czollek betrachtet in seinem neuen Essayband Versöhnungstheater (2023), wie die Erinnerungsarchitektur derzeit auf eine Neuentdeckung der guten deutschen Geschichte als Identifikationsfolie für die plurale Gegenwart zu setzen scheint. Dabei treten Geschichten, die von Gewalt erzählen, von Zerstörung, Raub, Vertreibung oder Mord, in den Hintergrund. Was bedeutet das für ein Konzept zur institutionalisierten Erinnerung der deutschen Kolonialgeschichte, mit dessen Erarbeitung Ibou Diop von der Stadt Berlin beauftragt wurde? Wie kann solch ein Konzept räumlich werden?
Max Czollek und Ibou Diop plädieren dafür, Erinnerungsorte als Orte der Untröstlichkeit zu denken – weil diese Geschichte passiert ist und, so machen sie deutlich, kein Mahnmal und kein Gedenktag sie ungeschehen machen kann. Erinnerung als Untröstlichkeit könne dazu ermahnen, die Gegenwart so einzurichten, dass sich die gewaltvolle Vergangenheit nicht wiederholt.
Begleitprogram zur Ausstellung MACHT RAUM GEWALT. Planen und Bauen im Nationalsozialismus
Max Czollek ist Autor und lebt in Berlin. Er ist Teil des Lyrikkollektivs G13 und Mitherausgeber des Magazins Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart. Mit Sasha Marianna Salzmann initiierte er den „Desintegrationskongress“ 2016, die „Radikalen Jüdischen Kulturtage“ 2017 und die „Tage der Jüdisch-Muslimischen Leitkultur“ 2020 am Maxim Gorki Theater. 2022 kuratierte er die Ausstellung „Rache – Geschichte und Fantasie“ (2022) im Jüdischen Museum Frankfurt a. M. 2023 erschien sein dritter Essayband "Versöhnungstheater", eine Kritik an der deutschen Erinnerungskultur.
Ibou Coulibaly Diop ist Literaturwissenschaftler und Kurator. Derzeit erarbeitet er für den Berliner Senat ein Erinnerungskonzept Kolonialismus und ist gemeinsam mit Lorraine Bluche für die Stiftung Berliner Stadtmuseum in der Kompetenzstelle Dekolonisierung tätig. In seiner Arbeit interessiert er sich für die Frage, wie ein Zusammenwachsen trotz Differenzen möglich ist und welche Ansätze in der Literatur darüber zu finden sind.