VON DER AUSLIEFERUNG AN DAS EIGENE SCHAFFEN
Ein Vorspann von Norbert Miller
In seinem ersten Brief an Robert Schumann, mit dem der junge Magdeburger Musikdirektor dem Herausgeber der Neuen Zeitschrift für Musik aus brüderlicher Verbundenheit seine Mitarbeit anbot, schrieb Richard Wagner am 14. September 1835:
Ich habe eine feste Überzeugung:
● Wir leben in einem Zeitalter der politischen Reform u. unzertrennlich von dieser ist dieReform derWissenschaft u. Kunst,wie sie sich in allen Symptomen von selbst ankündigt;
● an der Jugend ist es, diesen Zug der Zeit energisch begreifen zu lernen, um den Kampf als Nothwendigkeit, nicht als Willkühr anzusehen;
● wir müssen froh u. heiter, aber vernichtend gegen die alte Lüge zu Felde ziehen, die unserer schönen wahren Götternatur mit Schwindsucht droht;
● was auch Ehrwürdiges in dem Kampfe fallen möge, so werden wir – war es wirklich würdig – die Ersten sein, die es nach dem Siege imTriumph wieder aufrichten. Und wir brauchen zu diesem Kampfe keine Autoritäten.
Was da wie Georg Büchner klingt, meint im politischen Bekenntnis zum Umsturz der Gesellschaft auch und vor allem die kämpferische Erneuerung in den Wissenschaften und Künsten. Seine Mission, das Kunstwerk der Zukunft, stand ihm schon damals unverrückbarer vor Augen als die ins Anarchische gewendeten Sympathien für die Ziele der Französischen Revolution von 1830.
An dem gescheiterten Aufstand in Dresden nahm er teil und musste nach seiner Flucht, wie so viele andere Intellektuelle, für Jahre ins Exil gehen, während Rienzi und seine romantischen Opern langsam die Herrschaft über die deutschen Opernbühnen erlangten. An einer Aktualisierung der dramatischen Stoffe war Richard Wagner nie gelegen: Eine Oper über den polnischen Freiheitshelden Tadeusz Ko´sciuszko zu schreiben, hatte schon der Anfänger seinem literarischen Mentor Heinrich Laube gegenüber verweigert, und auch Rienzi war eher ein ins Geschichtliche gewandetes Gleichnis über Macht und Selbstgefährdung des Handelnden als ein flammender Aufruf zur Revolution.
Die unbedingte, bis in die Selbstzerstörung reichende Auslieferung an das eigene Schaffen, an die von einem zum anderen Stoff weiter vorangetriebene Metamorphose des Theaters und an die gültige Welterklärung aus dem angewandten Mythos – alles das macht die eine und einzige Konstante in diesem Leben für die Kunst aus, der er alles andere opferte.
Wagner schloss das Bündnis mit dem jungen König von Bayern, er umgab sich in München und später in Bayreuth mit einem mehr als zweifelhaften Freundeskreis, er ließ sich – aus altem Hass und neuem Kalkül – auf wüsteAbrechnungen mit seinen alten und neuen Gegnern ein und machte sich zu einem der Wortführer des liberalistischen Antisemitismus.
Nur in seinen Musikdramen, in seiner Vision eines die Welt ersetzenden Gesamtkunstwerks, gab es für ihn keine Kompromisse, nicht einmal mit sich selbst. In seiner Beethoven-Abhandlung schrieb er 1870: "Wir wissen, daß nicht die Verse des Textdichters, und wären es die Goethes und Schillers, die Musik bestimmen können; dies vermag allein das Drama, und zwar nicht das dramatische Gedicht, sondern das wirklich vor unseren Augen sich bewegende Drama, als sichtbar gewordenes Gegenbild der Musik, wo dann das Wort und die Rede einzig der Handlung, nicht aber dem dichterischen Gedanken mehr angehören."
Das ist vielleicht nur eine halbe, aber immerhin eine halbe Rechtfertigung auch des modernen Regietheaters; denn Carl Dahlhaus hat zurecht darauf hingewiesen, dass Wagner mit dem "dichterischen Gedanken" die Absicht des Dramatikers, des Autors meint, die nur in der sichtbaren Handlung sich erfüllt, und die darum in ihrer auktorialen Absicht aufgehoben ist. Wir wissen aus der Fülle zeitgenössischer Berichte, wie intensiv Wagner bei seinen Bayreuther Inszenierungen über jedes szenische Detail nachdachte, wie er immer neu den inneren Widerspruch zwischen der vorwärtsdrängenden Aktion und dem in sich webenden Netz der Motive und Leitmotive auf der Bühne auszubalancieren bemüht war, wie er nach neuen Bühneneffekten suchte und sich korrigierte.
WAGNERS·SELBSTVERPFLICHTUNG·
ZUR·DRAMATISCHEN·WAHRHEIT·
ÜBER·DIE·EIGENE·INTENTION·HINAUS·
BLIEB·UND·BLEIBT·FÜR·DEN·REGISSEUR·
EIN·PRIVILEG·UND·EINE·LAST·ZUGLEICH.
"Wagner 2013. Künstlerpositionen", die Ausstellung, zu der sich Akademie-Mitglieder aus den verschiedenen Sektionen verbunden haben, neben Regisseuren und Bühnenbildnern auch Komponisten, Schriftsteller und Filmemacher, meidet zwei durch den 200. Geburtstag des Musikdramatikers nahegelegte Darstellungsmöglichkeiten: Sie gibt keinen an zeitgenössischem Bildmaterial und historischen Quellen entfalteten Überblick über den Komponisten in seiner Zeit, und sie gibt keinen theatergeschichtlichen Abriss der Wagner-Inszenierungen von den Bayreuther Anfängen über alle, auch die trüberen Phasen der Rezeptionsgeschichte, bis hin zu den kritischen Neuansätzen der Wagner-Rezeption von Wieland Wagner bis Patrice Chéreau. Nach langen Überlegungen, ob man nicht das Bild Richard Wagners selbst, aus den durch die Forschungen von Hans Mayer, Carl Dahlhaus, Peter Wapnewski neu gewonnenen Einsichten heraus, der heutigen Rezeption durch das Musiktheater gegenüberstellen sollte, haben wir uns darauf verständigt, die Radikalität des Zeitschnitts nicht durch geschichtliche Rückblicke um seine Wirkung zu bringen. In der Eingangshalle werden zwar die Besucher auch jetzt durch eine Medieninstallation auf das von aller Werkintention emanzipierte Eigenleben des Wagner-Zitats in den Medien, vor allem im Film, hingewiesen, während sich Friedrich Dieckmann und Alexander Kluge von je anderen Standpunkten aus mit möglichen Deutungen von Wagners Schaffen auseinandersetzen.
Aus diesem Vorhof mit seinen betont fragmentarischen Hinweisen, die ein Spektrum des heute noch Erregenden, Provozierenden dieses Musiktheaters und Psychodramas entwerfen, kommt man jedoch dann in die über zwei große Hallen verteilte und auf die Gegenwart bezogene Präsentation von Richard Wagners Opern und Musikdramen seit Der Fliegende Holländer. Die Präsentation wird ergänzt um Tableaus, Photographien und zeichnerische Vorstudien zur Bühnengestaltung. Mit Ausnahme des Lohengrin in der Bayreuther Inszenierung von Hans Neuenfels und der Meistersinger von Nürnberg von Andreas Homoki in der Komischen Oper sind die Werke in konkurrierenden Vergleichsinszenierungen präsent gehalten: der Ring in den Regie-Versionen von Ruth Berghaus, Patrice Chéreau, Achim Freyer, Joachim Herz und Jürgen Flimm,Tristan und Isolde in szenisch-akustischen Collagen und Installationen nach Heiner Müller und der Bühnenbildnerin Anna Viebrock.
Für das die Regisseure magisch anziehende Bühnenweihfestspiel Parsifal treten die Zeichnungen von Einar Schleef neben die berühmte Brüsseler Aufführung von Romeo Castellucci und die Auseinandersetzung von Jonathan Meese mit diesem Stoff. Bühnenausschnitte im Film, Vergegenwärtigungen des Szenischen in Bühnenentwürfen und -modellen sowie eigens für die Ausstellung entwickelte Installationen, vor allem aber das ausführliche Gespräch mit den Regisseuren entfalten in der Ausstellung die für das Musiktheater notwendige Dimension der Zeit. Im Dialog tauchen ja nicht nur die Überlegungen der Theatermacher und Bühnenbildner zum Gegenstand ihrer Inszenierungen auf, sondern auch die Rechtfertigung vor der unvermeidlich auf ihnen lastenden Tradition. Warum hat man dem Ring eine anfangs verrätselte, dann sich mehr und mehr zum apokalyptischen Bild von Los Alamos wandelnde Bühnenform gegeben wie bei Jürgen Flimm, während noch für jeden Bewunderer der Kunst von Patrice Chéreau das gleichzeitige Erzählen der mythischen Fabel auf drei Zeitebenen als der Weisheit letzter Schluss in Erinnerung geblieben ist? Warum das Nebeneinander von Rattenwelt und psychologisch akribischer Nachzeichnung der Figurenkonstellationen in Neuenfels’ Lohengrin? So kann in der Ausstellung sichtbar und verständlich werden, was programmatisch ausgespart wird: die theatergeschichtliche Tradition. Auch wenn man im Gehen und Betrachten nur Momente der Argumentation auffassen kann, ergänzen sich für den Betrachter alle diese so unterschiedlichen Anblendungen auf ein von vielen Gehasstes, in seiner Provokation aber von jedem Regisseur bewundertes Theaterphänomen zu einem Panorama, eben zu "Wagner 2013. Künstlerpositionen".