Die Offenheit für das Mehrdeutige.
Ein Abend mit Elisabeth Plessen und Matthias Weichelt
Eigentlich wollte Katia Mann ihre Erinnerungen nicht aufzeichnen, es müsse schließlich einen Menschen in dieser Familie geben, der nicht schreibe... Dann solle sie ihr Leben erzählen, sagte ihr Ernst Schnabel, Intendant des Nordwestdeutschen Rundfunks, bei einem Empfang im Hamburger Rathaus. Aber es fand sich niemand, mit dem sie sich auf dieses Unternehmen einlassen wollte. Erst als sie bei Fernsehaufnahmen eine junge Germanistin kennenlernte, sagte sie: „Ja, mit der mach ich‘s!“
Die 1974 erschienenen Ungeschriebenen Memoiren wurden einer der großen Bucherfolge der Bundesrepublik. Und Elisabeth Plessen, die damals gemeinsam mit Michael Mann die Fragen stellte und Katia Mann zum Reden brachte, erzählt fünfzig Jahre später in Heft 3/2024 von SINN UND FORM zum ersten Mal von der Atmosphäre der Begegnungen und der Entstehung des Buches, aber auch von den Schwierigkeiten, die sie in der Verlagswelt und in der Familie überwinden musste und die das Projekt immer wieder fast zum Scheitern gebracht hätten. Golo Mann erklärte ihr rigoros: „Wir sind eine schriftsprachige Familie, Parlando kommt uns nicht unter.“
Die von der Akademie der Künste herausgegebene Zeitschrift SINN UND FORM feiert in diesem Jahr ein Jubiläum, sie wird fünfundsiebzig Jahre alt. Über das erste Heft schrieb Thomas Mann im Februar 1949: „Die Zeitschrift wirkt außerordentlich vornehm und wird, dieser Eröffnungsausgabe nach zu schließen, wohl rasch den ersten Platz unter den deutschen literarischen Revuen einnehmen.“ In dem international renommierten Periodikum werden außer Debüts und Beiträgen anerkannter Autor*innen immer wieder auch Archivfunde sowie vergessene oder erst zu entdeckende Schriftsteller*innen vorgestellt. Gerade in Zeiten des affektgeladenen Schreibens und gereizten Reagierens steht SINN UND FORM durch seine Konstanz für eine geistige Haltung, die sich Lagerbildungen entzieht und für das Mehrdeutige, Unvorhersehbare offen bleibt.
Eintrittskarten (15 Euro / 5 Euro für Personen unter 25 Jahren) können vor Ort in der Buchhandlung Felix Jud, Hamburg, und etwaige Restkarten am Abend der Veranstaltung erworben werden.
Elisabeth Plessen, geboren 1944 in Neustadt in Holstein, Schriftstellerin und Übersetzerin, lebt in Berlin. 1976 erschien Mitteilung an den Adel, zuletzt veröffentlichte sie die Romane Die Unerwünschte (2019) und Die Frau in den Bäumen (2023).
Matthias Weichelt, geboren 1971 in Lichtenstein / Sachsen, seit 2013 Chefredakteur von SINN UND FORM. 2018 erschien Peter Huchel. Leben in Bildern, 2020 Der verschwundene Zeuge. Das kurze Leben des Felix Hartlaub.