30. September 2009 -- Matthias Flügge und Schüler der Leibniz-Schule Berlin Kreuzberg
Wie entsteht eine Ausstellung? Werden die Bilder mit Nägeln aufgehängt? Wie lange hat es gedauert, bis die Ausstellung fertig war? 28 Schüler der Leibniz-Schule Kreuzberg trafen
Matthias Flügge, Kurator und Kunstwissenschaftler, in seiner von ihm zusammengestellten Ausstellung
Übergangsgesellschaft. Porträts und Szenen. 1980-1990. Die Schüler hatten außerdem den Auftrag, ihre Lieblingsfotografien zu bestimmen und zu kommentieren.
Wie arbeitet ein Kurator?
Ich mag die Bezeichnung Kurator nicht gern, weil Kuratoren feste Bestände in Museen bewachen und beschützen. Ich verstehe mich als jemand, der Ausstellungen organisiert, Künstler zusammen bringt, die ein gemeinsames Anliegen haben, die zu einem Thema arbeiten und damit an die Öffentlichkeit gehen möchten. Das ist eine Arbeit, die liegt zwischen Organisation, kunstgeschichtlichen Tätigkeiten und Kunstkritik. Über Geschmack kann man zwar nicht streiten, aber über Kunst kann man auf einer gewissen Ebene sehr wohl urteilen; es gibt da Kriterien.
Warum hängen hier nur schwarz-weiß Bilder?
Das sind alles schwarz-weiß Aufnahmen und analoge Fotografien. Es gab in den achtziger Jahren keine Digitalfotografie und es war in der DDR schwer möglich, Farbfotografie herzustellen. Es gab auch nur ein Labor und das war für viele Leute nicht zugänglich. Schwarz-Weiß Fotografien konnte man im abgedunkelten Badezimmer selbst entwickeln, die Materialien waren leicht verfügbar. Die Fotografie in der DDR war meiner Meinung nach die agilste und unabhängigste Kunstform aufgrund ihrer Produktionsbedingungen. Durch Postkarten, Flyer, Plakate war es viel einfacher, die Fotografien außerhalb der kontrollierten Kommunikationswege zu verbreiten.
Wer sind die Fotografen?
Wir haben uns in der Ausstellung die Frage gestellt, wie es eigentlich den jungen Leuten ging, die zwischen 1980-1990 in der DDR gelebt haben. Wie war das Lebensgefühl dieser Zeit? Welche Musik haben die gehört? Welche Bücher haben die gelesen? Wir wollten diese unterschiedlichen Aspekte der DDR zusammenführen. Das reale, alltägliche Leben mit den Porträts von Frauen aus einer Wäscherei an ihrem Arbeitsplatz, die jungen Leute, die in den achtziger Jahren die DDR Ideologie nicht mittragen wollten, z.B. Sven Marquardt, Hardcore-Punker und Autodidakt, der sich zwischen Modefotografie, Porträt und Dokumentarfotografie bewegt hat. Die ausgestellten Fotografen waren nicht im Medienbetrieb der DDR vertreten. Es war schwierig, Bilder zu verkaufen, die nicht in das offizielle Bild von Kultur und Gesellschaft hinein passten.
Waren Sie auch ein Punk?
Nein, ich war schon zu alt. Ich war 28 Jahre alt und hatte schon eine Familie und ein Kind.
Sind sie damals auch ausgewandert?
Nein, ich war in keiner Partei, in keiner Gewerkschaft, nur in der Evangelischen Kirche aktiv. Ich dachte, dass auch ein paar Leute hier bleiben müssen. Viele meiner Freunde sind ausgewandert, aber ich bin nie in diese Situation gekommen.
...und das sagen die SchülerInnen zu den Fotografien (gekürzt)...
Vivien zu Kurt Buchwalds „Ein Tag in Ostberlin“: Kurt Buchwald fotografierte so, dass seine Freundin „im Weg stand“, also das verbirgt, was um sie herum ist. Es macht einen neugierig, denn man möchte sehen, was hinter der Frau ist.
Lena zu Sven Marquardt, ohne Titel: Im Vordergrund ist eine Frau zu sehen (es kann sich aber auch um einen Transvestiten handeln), die ungefähr Mitte Dreißig ist. Die Augen und die Lippen sind stark geschminkt. Die Frau guckt sehr unglücklich und erschöpft, als ob sie einen sehr harten Arbeitstag hinter sich hat, der ihr noch nicht einmal Spaß macht. Vielleicht wollte der Fotograf mit dem Bild sagen, dass viele Menschen nur ihren Job gemacht haben, da es nicht anders ging und sie eigentlich ganz unglücklich waren oder dass viele mit sich selbst sehr unzufrieden waren.
Julia zu Matthias Leupold, „Kino I“, „Kino II“, „Kino III“: Auf dem Bild ist ein Mann zu sehen. Er steht ganz vorne in einem Kino und tut so, als ob er laut schreit, seine Hände sind um seinen Mund, damit er lauter ist. Die Menschen, die hinter ihm im Kino sitzen, haben weiße Brillen auf. Sie gucken sehr interessiert auf die Leinwand und nicht auf den Mann. Das Bild soll zeigen, dass man laut aussprechen soll, was man denkt. Auf dem zweiten Bild ist der gleiche Mann gezeigt, doch er hält sich eine Pistole an den Kopf. Die Leute im Kino sind immer noch nicht interessiert an dem Mann. Ich denke, dieses Foto soll zeigen, dass man nicht wegschauen soll, wenn so etwas passiert!
Flora zu Frank Gaudlitz Frauenporträts: Frank Gaudlitz stellt mit diesen Bildern Frauen aus dem VEB Färberei und Chemische Reinigung Leipzig vor. Man kann den Frauen ansehen, wie hart ihr Job ist und dass es ihnen zu dieser Zeit sicherlich nicht so gut ging, denn sie gucken nicht so glücklich.
Fotos: Christiane Lötsch