Der Meeting-Raum, in dem Matthias Sauerbuch die 28 Schüler aus Mitte (John-Lennon-Gymnasium und Moses-Mendelsohn-Gesamtschule), Zehlendorf (Königin-Luise-Stiftung) und Potsdam (Albert-Einstein-Schule) empfängt, hat Oberlicht, große nach außen zu öffnende Fenster, helle sehr breite Holzdielen. Der Raum ist eine der jüngsten Arbeiten des Architekturbüros. Matthias Sauerbruch möchte zunächst wissen, welche Vorstellungen die Schüler vom Beruf des Architekten haben. Sie antworten: „Gebäude entwerfen“, „rekonstruieren“ und auch etwas negativ wertend „realitätsferne Konstruktionen gestalten“.
Teamwork, Kommunikation und Koordination
Matthias Sauerbruch nennt die Schlüsselbegriffe seines Berufes Teamwork, Kommunikation und Koordination. Architekten müssten seitwärts und quer denken, einen breiten Horizont haben, widersprüchliche Ansprüche zusammenbringen und Konflikte lösen. Das Feld, das sie bearbeiten, ist breit: von Problemen des Klimawandels und der Stadtentwicklung bis hin zur Frage, wie eine Holzecke auf die andere passt.
Doch was macht die Architektur so interessant? Für Matthias Sauerbruch ist keine Landschaft mehr so, wie sie ursprünglich einmal war. Architekten haben die schöne Verantwortung, auf intelligente Weise in die Umwelt einzugreifen und sie den Bedürfnissen der Menschen anzupassen. Und das Gefühl, wenn sich ein Projekt nach langer Planungsphase - das können bis zu sieben Jahre sein - endlich realisiert, mache ihn süchtig. Wie eine kleine Geburt!
Am Beispiel des Hauptgebäudes der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) in der Kochstraße erläutert er, welche Überlegungen am Anfang stehen: Wo befindet sich das Gebäude in der Stadt? Welchen Nutzen soll es haben? In welchem historischen Kontext steht es? Beim GSW Hauptquartier spielt die Vergangenheit - der Zweite Weltkrieg, Mauerbau und Wiedervereinigung - eine große Rolle. Die Herausforderungen der Gegenwart - ökologisches und energiesparendes Bauen – sollen und werden auch berücksichtigt.
Fragen und Kommentare der Schüler
Woher nehmen Sie den Mut, so stark mit Farben zu arbeiten?
Ich möchte, dass meine Gebäude die Sinne der Menschen ansprechen, dass sie den Raum körperlich wahrnehmen, in dem sie sich befinden. Die Farben sind mein Medium der Kommunikation, denn auf Farben reagieren alle Menschen.
Machen Sie bei Ausschreibungen mit, um gezielt die Stadt zu verändern oder entwickeln sich die Ideen erst während der Planung?
Bei jedem neuen Projekt fangen wir ganz von vorne an, wir haben jedes Mal keine Ahnung. Dann werden wir mit vielen neuen Aspekten konfrontiert, lernen Dinge kennen, von denen wir vorher keine Vorstellung hatten. Natürlich haben wir einen eigenen Stil und ein ähnliches Formenvokabular, aber jedes neue Projekt ist wie eine offene Reise.
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Ich entwerfe zusammen mit einigen Studenten das olympische Dorf für die Olympischen Spiele 2018, falls sie denn in München stattfinden. Wir haben uns die Frage gestellt, welche Bedürfnisse muss das Haus oder die Wohnung erfüllen, wenn wir internationale Gemeinschaften in unsere Gesellschaft integrieren wollen. Wie schaffe ich es, dass ein Mensch aus Timbuktu und jemand aus Oberbayern zusammen wohnen können?
Wer ist die „richtige“ Karin Sander?
Karin Sander musste die Begegnung in letzter Minute absagen; ließ jedoch einen an die Schüler adressierten Brief von ihrem Assistenten Dieter Lutsch vorlesen und eine Fotodiashow projizieren, auf denen private Fotos von allen Frauen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich mit dem Namen Karin Sander zu sehen waren. Ihre Arbeit stellte die Frage, die jeder im Raum dachte: Welche der Frauen ist nun die „richtige“ Karin Sander?
Die Schüler begaben sich auf Spurensuche durch das alte Atelier, das gleich neben ihrem Wohnraum liegt, und konnten viele ihrer Arbeiten kennenlernen: Bodyscans - kleine, weiß-gräulich bedruckte Menschenfiguren, Bilder mit leerer Leinwand, die an ungewöhnlichen Orten gelagert werden (z.B. in einem Isländer Geysir) und Spuren ihres Weges deutlich machen, eine Audiotour mit Berliner Künstlern, die in der Temporären Kunsthalle zu hören war.
Zum Abschluss führte die Bauleiterin Vera Hartmann durch die neuen, beeindruckend hohen (mehr als 5 m hoch) und kurz vor der Fertigstellung stehenden Räume von Karin Sander. Eigentlich, so eine Schülerin, müsste man noch einmal wiederkommen, wenn alles fertig gebaut ist.
...und das sagen die Schüler...
- Mir hat der Besuch im Atelier von Karin Sander am besten gefallen, weil man das Verhältnis von Arbeit und Privatleben so schön sehen konnte - bei Karin Sander sind diese Bereiche kaum getrennt. Diese Freiheit interessiert mich.
- Ich finde es Wahnsinn, wie viel Geld für nur eine Person ausgegeben wird, das finde ich total irre. Aber die Architektur gefällt mir, die finde ich sehr beeindruckend, auch das Zusammenspiel von Architektur und Kunst.
- Etwas direkt für mich Nutzbares habe ich nicht erfahren, dafür sehr viel von dem Gefühl mitbekommen, mit dem diese Menschen arbeiten. Das nutzt man nicht in einem Ankreuz-Test, sondern für die eigene Zukunft.
- Es war mir nicht klar, wie viel Zeit ein Bauprojekt tatsächlich in Anspruch nimmt und wie viel Vorbereitung solch ein Projekt benötigt. Dinge wie Isolierung, Wärme, Kälte, Sicherheit etc. spielen eine größere Rolle als ich gedacht habe, wodurch jedoch nochmals die Bedeutung der Teamarbeit beim Berufsbild des Architekten deutlich wird, es werden bis zu 300 Leute bei einem Projekt beschäftigt. Erfahrung in diesem Beruf eignet man sich erst nach geraumer Zeit an. So gilt ein 50-jähriger Architekt noch als junger Architekt. Sauerbruch sagte auch, dass man sich in jedem Projekt auf einer ,,offenen Reise“ befindet und ,,Dinge lernt, von denen man noch nie etwas gehört hat“ und dass ,, man nicht weiß, was am Ende herauskommt“. Diese Kommentare empfand ich als sehr interessant, da man scheinbar immer wieder etwas Neues dazu lernt bei einem Projekt, flexibel sein muss. Sauerbruch beschreibt das Gefühl auf die Baustelle zu gehen und sein fertiges Ergebnis zu sehen als ,,eine neue Geburt“; wiederholt spricht er von seinen Werken auch als Kinder. Farbe definiert er als ein ,,Element, auf das alle Menschen reagieren“ und erklärt damit seinen Mut zur Farbe.
- Herr Sauerbruch schaffte es in seinem Vortrag, einen Bogen von generellem Architektendasein über seine eigene Auffassung von Architektur bis hin zur praktischen Anwendung, in den von ihm geplanten Gebäuden zu spannen. Besonders zeigte sich dies, als er auf das in Berlin vielleicht bekannteste Bürogebäude, die GSW-Hauptverwaltung, zu sprechen kam. Wenn den meisten die Farbe und Form des Gebäudes auffällt, den Interessierteren die besondere Energieeffiziens und die geschickten Grundrisse, war es doch
besonders erstaunlich, dass die Gebäude vier Jahrhunderte Architekturgeschichte der Umgebung repräsentieren. Sie erinnern entweder an frühere Geschosshöhen oder an ehemalige Straßenverläufe. Dies so zu hören, öffnete einem schon die Augen, auch was gerade historische Verweise in der Architektur angeht.
- Es wurde deutlich, welche Schwierigkeiten und Höhepunkte der Beruf eines Architekten birgt und wie sich Beruf und und Alltag einer Künstlerin erfolgreich vermischen.
- Wenn man sich ein Gebäude anschaut, denkt man nicht darüber nach, wieviel Arbeit und Zeit wirklich reingesteckt wurde, jede einzelne kleine Sache, wie Fenster an dieser oder jener Stelle, um z.B. einem Arbeitsplatz viel Licht zu geben, muss bedacht werden. Zudem war es interessant, dass man bevor man ein Gebäude schafft, erst einmal die Geschichte der Gegend erkundet, um etwas zu schaffen, was in die Umgebung hineinpasst. Dieser Aspekt reizt Sauerbruch auch an seinem Beruf.
- Ich hätte mir so sehr gewünscht, mehr von der Künstlerin Karin Sander zu erfahren. Leider war sie kurzfristig verhindert. Es war aber eindrucksvoll zu sehen, wie sie wohnt und ihre Arbeit mit ihrem Privatleben verbindet. Wir haben zwar einen Eindruck von ihrem Atelier gewonnen und auch einige Kunstwerke gesehen, jedoch war mir das nicht genug.
Fotos: Janina Niendorf und Max Paul