Sonntag, 27.09.
Hanseatenweg, Großes Parkett
20:00 – 21:30 Uhr
09 Konzert: KONTAKTE...
Begrüßung: Nele Hertling
Kompositionen von Georg Katzer (DE), Boris Blacher (DE), Dieter Schnebel (DE) und Karlheinz Stockhausen (DE). Elektronische Realisation: Studio für Elektroakustische Musik der Akademie der Künste. Benjamin Kobler (DE), Klavier; Michael Pattmann (DE), Schlagzeug; Ernst Surberg (DE), Klavier. Gregorio García Karman, Hannes Fritsch, Klangregie.
Georg Katzer, Dialog imaginär No. 2 „ad parnassum“ (1986) für Klavier und Tonband, 13 min. Benjamin Kobler, Klavier.
Boris Blacher, Multiple Raumperspektiven (1962) für Klavier und drei Klangerzeuger, 10 min. Benjamin Kobler, Klavier.
Dieter Schnebel, Monotonien (1988/93) (No. 1 und No. 5) für Klavier und Live-Elektronik, 15 min. Ernst Surberg, Klavier.
(15 Minuten Pause)
Karlheinz Stockhausen, KONTAKTE (1958/60) für Elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug, 35 min. Benjamin Kobler, Klavier; Michael Pattmann, Schlagzeug.
In Zusammenarbeit mit der Sektion Musik und dem Musikarchiv der Akademie der Künste
Georg Katzer, Dialog imaginär Nr.2 (1986)
Zwiegespräch als gedoppeltes Selbstgespräch, ermöglicht durch das technische Medium. Stimme und Kontrastimme aus einem Material, (Klavier), der Ton "h" als hartnäckiges Argument und Antiargument. Dann ausufernde Reden und Gegenreden, aus dem Dialog werden parallele Monologe, Attacken, am Ende doch gemeinsamer Schluss im Klangrausch, als Zeichen tieferen Einverständnisses. Das Zuspiel habe ich in dem von mir gegründeten Studio der Akademie der Künste realisiert, wobei ich das Subharchord aus dem Rundfunk-Technischen Zentrallabor Berlin-Adlershof (1965) hauptsächlich zur Klangbearbeitung eingesetzt hatte. Mein Dank gilt dem damaligen Toningenieur des Studios, Georg Morawietz für seine Anregungen und die technische Unterstützung.
© Akademie der Küunste , Berlin, BorisBlacher-Archiv 1.75.73.5
Boris Blacher, Multiple Raumperspektiven (1962)
Multiple Raumperspektiven (auch bekannt als Multiple Perspektiven) erlebte seine Uraufführung am 3. Oktober 1962 im Studio der Akademie der Künste, Berlin, mit Gerty Herzog am Klavier; die Klangrealisierung hatten Fritz Winkel und Manfred Krause besorgt. Im Programmheft dieser Aufführung notierte Blacher:
Seit etwa einem Jahr finden an der Humanistischen Fakultät der Technischen Universität Berlin Versuche statt hinsichtlich der Verbindungsmöglichkeiten zwischen Musik und Technik. Der m. E. wesentliche Unterschied zu den zahlreichen, mit denselben Aufgaben befaßten Studios in der Bundesrepublik und im Ausland liegt darin, daß die ästhetisch-technischen Probleme – wie etwa solche der elektronischen und konkreten Musik, oder der Webern-Nachfolge – hier nicht primär sind. Es werden alle Möglichkeiten untersucht, darunter auch Kombinationen mit konventionellen (instrumentalen) musikalischen Mitteln.
Im vorliegenden Fall ist versucht worden, nur den reinen Klavierklang – konventionell wie multipel, räumlich wie perspektivisch – mit Hilfe einer Lautsprecheranlage zu kombinieren. Es sind vier Sätze: 1. Klavier alle; 2. Klavier mit zwei Klangerzeuger, wobei diese teilweiße iteriert sind. Die technische Möglichkeiten der Iteration bestimmen auch die musikalische Struktur; 3. Klavier life [sic] mit drei vom selben Solisten bespielten Bändern, wobei die Raumdimensionen die musikalische Form bestimmen; 4. Die Einzelelemente des ganzes Stückes elektronisch verfremdet, wobei die Verfremdung in bestimmter Reihengolfe nacheinander abgespielt wird, kombiniert mit dem konventionellen (reinen) Klavierklang.
Dieter Schnebel, MONOTONIEN (1988/93)
für Klavier…
Der Klang des Klaviers besteht in den Schwingungen angeschlagener Saiten, die durch die mitschwingenden Materialien des Instrumentenkorpus, hauptsächlich Metall und Holz, verstärkt werden. Aufgesetzte Dämpfer beenden die Schwingungen mehr oder weniger abrupt. Werden jedoch die Dämpfer aller Saiten mit Hilfe des Pedals aufgehoben, bilden sich vielfältige Resonanzen – eine Art Halleffekt. Der Klang selbst entsteht indirekt: Finger betätigen Tasten, welche durch eine komplizierte Mechanik den Anschlag der Filzhämmer auslösen. Da in solcher Weise mehrere, ja viele Saiten gleichzeitig zum Klang gebracht werden können, wird beträchtliche Polyphonie ermöglicht. Außerdem können die spielenden Hände die mannigfachen Klangflächen des Instruments noch weniger umständlich als über die Mechanik, nämlich direkt durch Schläge, zum Klingen bringen mittels Techniken, wie sie die neuere experimentelle Musik entwickelt hat – dies zumal zur Geräuscherzeugung.
… und Live-Elektronik
Das Instrumentarium Live-Elektronik hat manche Analogien zum Klavier. Auch da gibt es Tasten und Pedale, die niedergedrückt und losgelassen werden, und sie lösen durch eine komplizierte, nun allerdings elektronische Mechanik Klänge aus. Am Ende schwingen freilich nicht Saiten, sondern – doch wiederum nicht so unähnlich – Lautsprechermembrane. Man kann Schwingungen verstärken oder abdämpfen, sie auch filtrieren oder sonst verändern; man kann den Klängen einen besonderen Hall beimischen oder ihnen über die an verschiedenen Orten postierten Lautsprecher eine räumliche Charakteristik geben, ja sie gleichsam im Raum wandern lassen; und die Klänge lassen sich auch zeitlich versetzen, so dass sie mit geringer oder auch größerer Verspätung wiederkommen, und all dies kann gleichzeitig mit den live erzeugten Klängen vorgenommen werden. Der Instrumentalist bekommt sozusagen noch zusätzliche Tasten und Pedale, oder aber er erhält wie ein Organist in den Spielern der Elektronik zusätzliche Registranten – oder aber gar wirkliche Mitspieler, die seinen Aktionen antworten und ihm neue Vorschläge liefern, auf die er selbst wiederum Fragen stellen muss, so dass dann tatsächlich „live“-Elektronik entsteht, nämlich als lebendige Kommunikation. In den MONOTONIEN geschieht eine räumlich-zeitliche Entfaltung des Klangs. Jedem Teil liegt ein bestimmtes Spektrum zugrunde, das jeweils durch ein bestimmtes Intervall getönt wird, ebenso eine bestimmte Zeitform, und er endet jeweils mit einer kleinen Improvisation – einer Art Kadenz. Einige Teile sind vertauschbar, und es brauchen nicht alle Teile aufgeführt zu werden.Die räumlich-zeitlichen Klangprozesse vollziehen sich in der Regel allmählich, selten plötzlich oder im Bruch, und sie bleiben stets bei einem: einer Art Grundgestalt des Klangs, die sich mal da-, mal dorthin aufblättert. Die Klangarten wechseln in der Abfolge gleichsam die Temperatur, mögen durch Kälte oder Wärme berühren, und die Zeitformen verändern gewissermaßen ihren drive, reißen vielleicht mit oder lassen stehen. Im Wesentlichen gehen die MONOTONIEN vor sich als Klangströme, in denen eines zum anderen wird und das andere wiederum zum anderen; es aber doch von jenem einen ausgeht und wiederum in ihm auf- und vergeht. Die amorphe und meist monotone Art und Weise des Fließens aber mag metaphorisch ans Spiel der Evolution erinnern oder assoziativ ans Treiben von Emotionen gemahnen, wobei die Gesamtentwicklung eher fraglich erscheint, allenfalls melancholische Hoffnung andeutet.
© Archiv der Stockhausen-Stiftung für Musik, Kürten (www.karlheinzstockhausen.org)
Karlheinz Stockhausen, KONTAKTE für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (1958/60)
Zwei Versionen – Entstehung – Veröffentlichung
Das Werk existiert in zwei Versionen.
Eine 4-spurige Realisation mit dem Titel KONTAKTE Elektronische Musik wird in einem Auditorium über 4 Lautsprechergruppen quadrophonisch projiziert; ihre 2-kanalige stereophone Abmischung ist für Radioübertragung und Schallplattenwiedergabe bestimmt. Sie ist auf CD 3 der Stockhausen-Gesamtausgabe veröffentlicht.
Eine zweite Version hat den Titel KONTAKTE für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug. Bei einer Aufführung werden die elektronischen Klänge und die live gespielten Instrumentalklänge quadrophonisch wiedergegeben. Zwei Instrumentalisten spielen Klavier und Metall-, Fell-, Holzinstrumente. Diese Version wurde am 11. Juni 1960 beim 34. Weltmusikfest im WDR Köln uraufgeführt mit David Tudor (Klavier und Schlagzeug), Christoph Caskel (Schlagzeug), K. Stockhausen (Klangregie).
Eine Aufnahme des WDR Köln vom 7. und 8. Juli 1968 mit Aloys Kontarsky (Klavier und Schlagzeug), Christoph Caskel (Schlagzeug), K. Stockhausen (Aufnahmeleitung und Abmischung) ist auf CD 6 der Stockhausen-Gesamtausgabe wiedergegeben.
Die KONTAKTE sind Otto Tomek gewidmet, der zur Zeit der Uraufführung Leiter der Abteilung Neue Musik des WDR war.
Die elektronischen Klänge, ihre Verarbeitung und die Experimente zur Raumprojektion habe ich im Studio für Elektronische Musik des WDR Köln von Februar 1958 bis zum Herbst 1959 gemacht. Partitur und Realisation entstanden von September 1959 bis Mai 1960.
Vollständige Aufzeichnungen der Klangproduktion – Verarbeitung und Bandmontage – mit Raumprojektion habe ich als Realisationspartitur geschrieben und gezeichnet. Eine vereinfachte Darstellung der Elektronischen Musik mit genauer Notation der Instrumentalpartien zeichnete ich als Aufführungspartitur. Beide Partituren wurden ursprünglich bei der Universal Edition Wien verlegt, sind jedoch seit Januar 1993 beim Stockhausen-Verlag veröffentlicht.
Ausführliche Texte zu KONTAKTE sind veröffentlicht in Stockhausen-TEXTE zur MUSIK, DuMont-Buchverlag, Köln, Band 1 (S. 140 ff., S. 152 ff., S. 189 ff., S. 216 ff.); Band 2 (S. 104 ff., S. 107 ff.); Band 3 (S. 28 ff., S. 175 ff., S. 247 ff.); Band 4 (S. 360 ff.); Band 6 (S. 68 ff., S. 140).